Die Integration von ESG-Faktoren hat ihren Mehrwert bereits während der Großen Finanzkrise 2008/2009 bewiesen, die hauptsächlich eine Corporate-Governance-Krise war. Dieser ESG-Mehrwert hat sich auch während der Corona-Pandemie und der daraus resultierenden Lockdowns gezeigt. Deutlich wurde dabei, dass es enorm wichtig ist, bei Anlageentscheidungen die potenziellen Auswirkungen aller Stakeholder auf jeder Ebene abzuschätzen: wirtschaftlich, währungspolitisch, ökologisch, sozial und in Bezug auf die Unternehmensführung. Die EU gibt mit Blick auf nachhaltige Investitionen und ihre Bereitschaft, sich bei diesem Thema als Vorreiter zu positionieren, eindeutig den Ton an. Im Jahr 2016 übernahm sie die Führungsrolle mit ihrem Aktionsplan für nachhaltige Finanzen, der sich auf drei Hauptziele konzentriert: Förderung einer langfristigen Ausrichtung der Wirtschaft, Finanzierung von nachhaltigem Wachstum und Berücksichtigung von Umweltrisiken als systematisches Anlagerisiko. Alle Regelungen, die seither verabschiedet wurden, verfolgen diese drei Ziele.
Darüber hinaus ebnen die Offenlegungsverordnung SFDR (Sustainable Finance Disclosure Regulation) und die EU-Taxonomie den Weg in eine nachhaltige finanzielle Zukunft und beschäftigen sich mit dem Mangel an Normen und gemeinsamen Definitionen. Die EU muss jedoch unerwünschte Auswirkungen einer zu starren und unflexiblen Regelung vermeiden. Dies könnte zu einer übermäßigen und potenziell kontraproduktiven Anzahl von Verfahren, Verwaltungslasten und Berichtshürden führen.
Ophélie Mortier, Responsible Investment Strategist bei DPAM, wirft einen Blick auf den aktuellen Stand der SFDR und deren Schwachstellen in der ersten Implementierungsstufe:
- Die hohe Komplexität der Texte ist eindeutig ein Problem. Dies wurde durch die späte Veröffentlichung der technischen Texte, die zur Umsetzung der Verordnung erforderlich sind, noch verstärkt. Wichtig ist zu erwähnen, dass die neuesten, Ende Februar veröffentlichten technischen Texte noch nicht endgültig sind und noch nicht durch den Regulierungsprozess der EU genehmigt worden sind. In letzter Zeit wurden vereinzelt zusätzliche Texte veröffentlicht, die die technischen Texte der EU zu erklären versuchen. Diese zusätzlichen Angaben verstärken allerdings nur die Komplexität und Auslegungsfragen der Ausgangstexte.
- Unterschiedliche Auslegungen zwischen den einzelnen EU-Regulierungsbehörden haben zu einer Diskrepanz bei der typologischen Einordnung gleichartiger Produkte geführt. Die jeweiligen Finanzmarkt-Regulierungsbehörden haben nicht-standardisierte und jeweils eigene Ansätze für die Umsetzung der Verordnung gewählt. Einige haben Verständnis für die Marktteilnehmer gezeigt und ihnen erlaubt, ihren eigenen Weg durch dieses komplexe und manchmal undurchsichtige „Puzzle“ zu finden; andere haben den gesamten Prozess vereinfacht, um die Umsetzung bis zum 10. März 2021 sicherzustellen. Und wiederum andere ziehen es vor, an einer sehr strengen Auslegung der sogenannten „Artikel 9-Produkte“ festzuhalten, die als einzige im offiziellen Text als „nachhaltige Investitionen“ bezeichnet werden. Die lokalen Aufsichtsbehörden, die für die Überwachung der SFDR-Umsetzung zuständig sind, scheinen in ihrer jeweiligen Auslegung unterschiedlich streng zu sein. Dies macht es einfacher bzw. schwieriger, einen Artikel 9-Status zu erhalten, je nachdem, in welchem Mitgliedsstaat man ansässig ist. Diese unterschiedlichen Ansätze und Einstellungen sind eine erhebliche Hürde und behindern die Schaffung der von der EU erwarteten „gleichen Wettbewerbsbedingungen“ durch die SFDR-Vorgaben.
- Darüber hinaus wird dieses „einheitliche Spielfeld“ durch separate individuelle nationale Regelungen in den verschiedenen EU-Mitgliedsstaaten beeinträchtigt. Diese stimmen nicht immer vollständig mit der SFDR-Typologie überein, was das Erscheinungsbild noch komplexer macht. In der Tat erwägen einige EU-Mitgliedsstaaten eine eigene Taxonomie und Regulierung. Auch das Vorhandensein inländischer Labels mit eigenen Anforderungen ist nicht hilfreich für die Situation.
- Der Mangel an Daten von Unternehmen ist eine weitere Herausforderung, die es zu berücksichtigen gilt. Diese Kritik existiert nun schon eine Weile. Zwar wird dieses Problem auf EU-Seite durch die Richtlinie zur Erstellung von nicht-finanziellen Berichten, die EU-Unternehmen dazu verpflichtet, den Finanzteilnehmern die erforderlichen Daten zur Verfügung zu stellen, schrittweise korrigiert, doch bleibt der Anwendungsbereich auf die EU beschränkt. Dies macht nachhaltige Anlagen zu einer auf die EU eingeschränkten Anlageklasse. Nachhaltige Akteure wie DPAM kämpfen seit Jahren dafür, dass nachhaltiges Investieren zu einem Mainstream-Phänomen statt einer Nischen-Anlagekategorie wird.
Die SFDR und die EU-Taxonomie zielen zudem darauf ab, das Greenwashing zu reduzieren, was zweifelsohne eine zu begrüßende Bestrebung ist. Die SFDR basiert hauptsächlich auf quantitativen Daten, die den Märkten noch nicht vollständig zur Verfügung stehen.
Die Verpflichtung, nachhaltige Ziele und die entsprechenden KPIs (Key Performance Indicators) darzulegen und darüber detailliert zu berichten, reduziert dieses Risiko deutlich. Wer seinen Weg in Richtung eines richtigen nachhaltigen Anlageansatzes noch nicht eingeschlagen hat, wird es schwer haben, sein Versprechen zu erfüllen. Sowohl die SFDR als auch die EU-Taxonomie sind in hohem Maße auf quantitative Daten angewiesen. Nur ein oder zwei quantitative Indikatoren können nicht das vollständige Bild einer Investition bzw. die vollständigen Auswirkungen einer wirtschaftlichen Aktivität abdecken. Dies stellt eine Herausforderung für Akteure wie DPAM dar, die ihre nachhaltige Expertise auf einen aktiven und Research-bestimmten Ansatz mit viel qualitativem, fundiertem Research stützen.
Die gesamte Arbeit auf nur wenige quantitative Indikatoren zu übertragen greift viel zu kurz. Die Nachhaltigkeitsbestrebungen der EU sollten sich nicht auf eine trügerische „Ankreuz-Übung“ beschränken. Leider zeichnen sich aber solch eingeschränkte Ergebnisse am Horizont ab. Nur nochmal zur Erinnerung: Bis 2030 müssen für die Finanzierung des europäischen Programms für nachhaltige Entwicklung Mittel in Höhe von knapp 180 Milliarden Euro pro Jahr aufgebracht werden!
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Foto: Ophélie Mortier © Degroof Petercam Asset Management